Unsere Woman in Tech: Eva Werle
In der Artikelserie von Jaxenter „Women in Tech“ werden inspirierende Frauen vorgestellt, die erfolgreich in der IT-Branche Fuß gefasst haben. Dieses Mal im Fokus: Eva Werle, Geschäftsführerin & Leiterin Strategie der Basilicom GmbH. Auch wir dürfen das Interview veröffentlichen und verlinken auf den Originaltext:
Women in Tech: „Wir müssen heute Vorbilder sein und vorleben, dass es selbstverständlich ist, im Tech-Bereich zu arbeiten“
Die Tech-Industrie wird von Männern dominiert – so weit, so schlecht. Doch langsam, aber sicher bekommt der sogenannte Boys Club Gesellschaft von begabten Frauen: Immer mehr Frauen fassen in der Branche Fuß. Aus diesem Grund will Jaxenter spannenden und inspirierenden Frauen die Möglichkeit geben, sich vorzustellen und zu erzählen, wie und weshalb sie den Weg in die Tech-Branche gewählt haben. Aber auch Themen wie Geschlechtervorurteile, Herausforderungen oder Förderungsmöglichkeiten kommen zur Sprache.
Eva Werle ist Geschäftsführerin der Berliner Digitalagentur Basilicom. Basilicom versteht sich als strategischer und technischer Partner für digitale Projekte. Das 50-köpfige Team kreiert nutzerzentrierte, digitale Lösungen für Kunden wie Deutsche Bahn, Krombacher und Fleurop. Als Geschäftsführerin der Agentur ist sie neben der Ausrichtung und Wachstumsstrategie der Agentur für die strategische Beratung in Digitalisierungs- und Transformationsprojekten verantwortlich. Ihren Weg startete Eva Werle im klassischen Agenturgeschäft bei der TBWA, über die Produkt- und Geschäftsentwicklung in der chemischen Industrie und schließlich als strategische Beraterin in der Digitalbranche. Eva Werle ist zertifizierter Coach und Scrum Master.
Was hat Dein Interesse für die Tech-Branche geweckt?
Mein Lebenslauf ist alles andere als stringent: Start in der klassischen Werbeagentur mit dem wahrscheinlich klassischsten Etat, den man sich so erdenken kann: Henkel Wasch- und Reinigungsmittel. Aber das ist schon sehr lange her. Danach kam der Wechsel in die chemische Industrie, dann selbstständige Beraterin, heute Basilicom. Damit falle ich vermutlich durch alle Recruiting-Raster.
Ich bin Betriebswirtin, habe an der Hochschule für Technik und Wirtschaft studiert und danach in verschiedenen Bereichen des Marketing Managements gearbeitet. Egal, ob in Kommunikations-, Produkt- oder Geschäftsentwicklung – letztlich liegt mein Fokus immer in der Entwicklung von Business Value.
Ich habe in meiner Vergangenheit zahlreiche Systemintegrationen aus verschiedenen Perspektiven heraus miterlebt: Warenwirtschafts-, Einkaufs-, Projektmanagement-, Content-Management-Systeme. Idee und Vision waren immer gut, aber das Ergebnis unbefriedigend.
Ich glaube, dass sich trotz bester technologischer Umsetzung die Einführung eines Systems als Flop entpuppen kann. Nach zwei Jahren der Einführung einer Einkaufssoftware eines sehr großen Softwareunternehmens kann ich nur sagen, das System war ein absoluter Auslöser für Burnouts. Die Entwicklung und Einführung waren zwar eng durch Berater begleitet, aber nicht, um den Change zu managen. Die Ergebnisse fand ich immer wieder erstaunlich weit weg von dem, was in meiner Vorstellung einem guten System entsprochen hätte: zu groß, zu kompliziert, zu aufwändig für das, was eigentlich benötigt wurde. Genauso die Launches und Relaunches, aber auch die Nutzung von Websites. Das kann schnell zum Kraftakt werden und nicht alles lässt sich mit WordPress lösen.
Ich hatte nie geplant, in den Tech-Bereich zu gehen, aber als ich das erste Gespräch mit Basilicom führte, hatte ich sofort eine Vorstellung, welcher Wert in dem steckt, was diese Agentur leisten kann, und daran arbeiten wir täglich und es begeistert mich immer wieder aufs Neue.
Ein Tag in Evas Leben
Ich bin Geschäftsführerin der Digitalagentur Basilicom in Berlin. Gemeinsam mit dem Gründer Arndt Kühne führe ich die Agentur. Wir sind 50 Leute und etwa die Hälfte sind Entwickler, die anderen teilen sich in die Beratung, UX und UI Design, Supportmitarbeiter sowie den administrativen Bereich auf. An einem typischen Tag stehe ich um 6:30 Uhr auf. Die Zeit bis ca. 8:00 Uhr ist meine Lieblingszeit. Bei uns schlafen dann noch alle und es ist super ruhig um mich rum. Eine gute Zeit, um für mich zu sein, die eigenen Gedanken zu ordnen und mich für anstehende Entscheidungen fit zu machen. An einem Arbeitstag sitze ich schätzungsweise zu 90 Prozent in Meetingräumen bei Kunden oder in der Agentur und löse Herausforderungen in Projekten und die, die sich bei uns selbst stellen. Sofern wir keine Veranstaltung in der Agentur oder außerhalb haben, verbringe ich abends Zeit mit meiner 6-jährigen Tochter und meinem Mann oder gehe zum Sport.
Vorbilder und Förderer
Meine Eltern haben mich immer unterstützt. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich etwas nicht tun konnte, das mir am Herzen lag. Meine Familie heute unterstützt mich ebenfalls, denn mein Job braucht eine gewisse Aufmerksamkeit und da muss schon alles andere gut geregelt sein. Ein klassisches Role Model habe ich nicht. Mich packt eher eine Art Leitvision. Ich habe eine Vorstellung davon, wie ich arbeiten, was ich bewegen will, wie ein Unternehmen zukünftig aufgestellt sein könnte. Diese Vision versuche ich wahr zu machen. Letztlich ist es das, was mich in meiner täglichen Arbeit und in all meinen Entscheidungen leitet.
Hindernisse
Rückblickend kann ich sagen, dass mich die Themen Innovation und Transformation schon immer fasziniert haben – in vielerlei Hinsicht. Ich spreche dabei nicht nur von der viel diskutierten digitalen Transformation, sondern gleichermaßen vom Wandel in Bezug auf Kultur und Gesellschaft, Geschäftsfelder und Märkte, der Art zu arbeiten, der Art zu führen und Karrieren. Will man den Wandel beeinflussen, braucht es Mut, Zeit und Aufmerksamkeit und vor allem auch den Willen, an sich und seiner Umgebung zu arbeiten, Gutes zu bewahren, aber dennoch Neues zu ermöglichen.
Das fordere ich stark ein und das stößt natürlich nicht immer auf Zuspruch und man findet auch nicht immer sofort Menschen, die gleich die Ärmel hochkrempeln. Nicht jeder will und kann da mitgehen. Sätze wie „das geht nicht”, „das war schon immer so”, „das haben wir noch nie so gemacht” empfinde ich durchaus als Herausforderung. Heute frage ich eher nach dem Wie als nach dem Ob. Und das löst so manche Barriere, um den Weg zum Ziel gemeinsam beschreiten zu können. Ganz gleich, ob Kunde, Partner, Mitarbeiter.
Eine echte Herausforderung war es auch, Mutter zu werden und gleichzeitig mitten in der Karriere zu stecken. Zumindest ging es mir so. Die ersten Jahre waren durchaus sehr anstrengend. Ich habe einige Abstriche machen müssen, doch die Zeit gut genutzt. Ganz untätig bin ich nie. Ich fange nach einiger Zeit automatisch an, darüber nachzudenken, was ich tun könnte. Dazu kommt, dass ich ein Unabhängigkeitsmensch bin. Mir geht es besser, wenn ich nicht von anderen abhängig bin. Es ist mir schwer gefallen, mich darauf einzulassen und ich war sehr schnell wieder im Job. Dank Kita war das ja auch super gut möglich und damit eine passende Kombination aus beidem.
Hat jemand versucht, Dich daran zu hindern, in Deiner Karriere voranzukommen?
Ich habe gesehen, was schlechte Führung bewirken kann, was sie mit Menschen macht. Auch, wie sie allen schadet – vor allem dem Unternehmen selbst. Ich bin durchaus anpassungsfähig und wandelbar, aber letztlich nicht verbiegbar. Ich habe daraus gelernt, wie wichtig es ist, Mitarbeitern zuzuhören und dass Chefs einen immensen Einfluss auf das Wohlbefinden und damit auf die Arbeitsqualität von Mitarbeitern haben. Das ist bis heute eine wichtige Erkenntnis. Ich höre ganz genau hin, was bei meinen Kollegen los ist und gebe alle mir mögliche Hilfestellung, die gebraucht wird.
Worauf bist Du in Deiner Karriere besonders stolz?
Wir wurden in diesem Jahr vom Focus-Magazin als Arbeitgeber 2019 ausgezeichnet. Noch stolzer bin ich, dass mir Kollegen im persönlichen Mitarbeitergespräch sagen, wie gerne sie bei uns arbeiten. Das macht mich stolz, denn das ist durchaus eine Vision, an der ich und wir unsere Entscheidungen ausrichten. Ich bin übrigens auch mächtig stolz darauf, dass wir so viele Mitarbeiter haben, die genauso flexibel sind und unsere eigene Transformation mitgehen. Basilicom hat sich in den letzten Jahren stark verändert und dafür braucht es Menschen, die der Veränderung – oder wie wir heute so gern sagen „Transformation” – offen gegenüberstehen. Genauso stolz bin ich auf unsere Kundenprojekte. Wir entwickeln hervorragende Technik und fördern damit die Möglichkeiten unserer Kunden. Mit jedem Projekt verbessern wir Arbeits-, Kunden- oder Nutzer-Erlebnis für Menschen, die unsere Software anwenden. Das finde ich wunderbar.
Warum gibt es so wenige Frauen in der Tech-Branche?
In meiner Generation sicher zum einen, weil zu meiner Ausbildungszeit die digitale Welt noch nicht die gleiche Bedeutung in der Breite der Gesellschaft innehatte. Da gab es tatsächlich noch Leute, die behaupteten, die Sache mit dem Internet setze sich nicht durch. Es gab kaum weibliche Role Models im Tech-Bereich. Heute gibt es zahlreiche Frauen in der Tech-Szene – vorwiegend international, wie Marissa Meyer oder Sheryl Sandberg.
Ich bin mir sicher, dass Frauen heute keine Hemmungen und Vorbehalte haben und einfach dem nachgehen und sich in einem Bereich ausbilden lassen, der sie wirklich interessiert. Das allein sollte auch der Maßstab sein. Ich hoffe, dass sich viele für den Tech-Bereich interessieren, denn das könnte ein starker Motor sein, aus der Berufswelt eine gleichberechtigte weibliche Arbeitswelt zu schaffen.
Wir müssen heute Vorbilder sein und vorleben, dass es selbstverständlich ist, im Tech-Bereich zu arbeiten. Wenn wir alle so leben, als wäre es schon selbstverständlich, ohne Zweifel daran, dass es das ist, dann wird es auf Dauer auch selbstverständlich und somit gelebte Realität sein.
Herausforderungen für Frauen in Tech
Ich wünsche mir, dass es immer mehr Frauen gibt, die es in den Tech-Bereich zieht. Ich wünsche mir, dass sie ihre Chancen darin erkennen und nutzen, denn ich bin überzeugt, dass wir Frauen insbesondere im Tech-Bereich die Möglichkeit haben, unsere Welt zu gestalten. Das verstehe ich nicht nur als eine Chance für uns Frauen, sondern für die Gesellschaft. Ich sehe keine Herausforderungen, die sich speziell dem Tech-Bereich zuordnen lassen. Vielmehr sehe ich eine Herausforderung für Frauen darin, den Mut zu entwickeln, sich selbst den Chancen zu stellen – unabhängig von Vorgesetzten, Gesellschaft, Politik oder einer Frauenquote. Ich finde eine Frauenquote grundsätzlich vollkommen in Ordnung. Jedoch sehe ich die Herausforderung eher darin, ein Selbstverständnis dafür zu entwickeln, das wir dann auch als Selbstverständlichkeit wieder an unsere Kinder weitergeben. In meinen Augen braucht Transformation eher Kräfte als Regeln.
Sähe die Welt mit mehr Frauen in MINT-Berufen anders aus?
Vielleicht schon. In Projekten, z.B. aus den Bereichen Wissenschaft und Technologie, wären sicher andere Betrachtungsweisen eingeflossen. Eventuell haben wir ein Talent übersehen, weil die Umstände eine Frau nicht zugelassen haben. Aber es ist vollkommen müßig, das zu erörtern. Ich denke, wir sind hier auf einem guten Weg. Die Transformation, aber auch die Veränderung der Haltung in dieser Gesellschaft schreitet meines Erachtens voran.
Die Diskussion über Diversität nimmt Fahrt auf. Wie lange wird es dauern, bis wir Ergebnisse der aktuellen Debatte sehen?
In welchem Land? Wie weit wollen wir das Thema Diversity fassen? Ich habe durchaus den Eindruck, dass sich das hier in Deutschland wandelt und zum Besseren entwickelt. Wahrscheinlich nicht so schnell, wie manche/r es möchte, aber allein in Deutschland müssen wir 80 Mio. Menschen transformieren, eine positive Haltung zur Verschiedenheit zu kreieren – und das, obwohl wir alle Gewohnheitstiere sind und eher nicht nach großen Veränderungen und Unwegsamkeiten streben. Es wird also alles noch etwas Zeit brauchen. Transformation und Wandel sind nie erzwingbar, sondern brauchen Zeit und Menschen, die sie vorantreiben und begleiten. Ich blicke da optimistisch in die Zukunft.
Tipps & Tricks
Frauen sollten wissen, dass alles möglich ist und die Tech-Welt ihnen die Möglichkeit bietet, die Zukunft mitzubestimmen, mit allem, was sie selbst für richtig halten und brauchen. Es geht nicht nur darum, Neues zu entwickeln, es geht auch darum, Wertvolles zu erreichen. Die Tech-Branche wird ein wesentlicher Bereich sein, in der diese Entscheidungen und Sichtweisen gefragt und benötigt werden. Sie sollten zugreifen und die Chance nutzen.
Interview: Dominik Mohilo/Jaxenter